Qualitative Forschung unterliegt in der Sportwissenschaft dem Potenzial sowie den Anforderungen einer ‚doppelten Interdisziplinarität‘. Zum einen wird Interdisziplinarität seit den 1970er Jahren
als ein „zentrales Strukturmerkmal“ (Höner, 2001, S. 17) der Querschnittsdisziplin ‚Sportwissenschaft‘ verhandelt. Dies wird mit dem Argument begründet, dass der Fachgegenstand ‚Körper, Bewegung,
Spiel und Sport‘ komplex und in vielfältigsten Kontexten verankert sei (ebd.). Damit spielt Interdisziplinarität für sportwissenschaftliche Forschung schon aufgrund ihres Gegenstandes eine Rolle
(u.a. Willimczik, 2011; Schürmann & Hossner, 2012).
Zum anderen wird Interdisziplinarität für qualitative Forschung besonders relevant. Die qualitative Sozialforschung zeigt sich als ein Wissenschaftsfeld, das sich in und aus unterschiedlichen
Wissenschaftsdisziplinen (heraus) entwickelt hat (Reichertz, 2016). Vor diesem Hintergrund sind die verschiedenen qualitativen Forschungszugänge in ihren grundlagentheoretischen Bezügen sowie
method(olog)ischen Varianten „nur interdisziplinär denkbar“ (Richter et al., 2017, S. 3).
Die 6. Jahrestagung des Netzwerks „Qualitative Forschung in der Sportwissenschaft“ möchte einen Raum für den methodisch und methodologisch orientierten Aus-tausch über Ansprüche, Praxis und Perspektiven dieser doppelten Interdisziplinarität eröffnen. Doch: Was kann eigentlich mit Interdisziplinarität gemeint sein? In der jüngsten Literatur lassen sich verschiedene Spielarten und Begriffsdeutungen entdecken, die bezüglich ihrer Intensität und Struktur in der (Zusammen-)Arbeit unterschieden werden (Darbellay, 2014; Schäffter, 2019), insbesondere die Folgenden:
In multidisziplinären Forschungsprojekten wird ein Themenkomplex von zwei oder mehreren unverbundenen, disziplinären Standpunkten aus isoliert bearbeitet und es werden die jeweiligen Erkenntnisse
additiv zusammengeführt (Darbellay, 2014). Bei einer interdisziplinären (Zusammen-)Arbeit wird ein Themenkomplex hingegen von zwei oder mehreren, interagierenden Disziplinen synthetisierend
bearbeitet. Hierbei werden disziplinärer Grenzen eher gewahrt, indem auf kompatible Schnittstellen zwischen den disziplinären Zugängen fokussiert wird (Schäffter, 2019). Transdisziplinäres
Forschen ist wiederum dadurch gekennzeichnet, dass ein Themenkomplex disziplinüberschreitend und relationierend von zwei oder mehreren, interagierenden Disziplinen (sowie außerwissenschaftlichen
Akteuren) unter Einnahme einer gemeinsamen gegenstandskonstituierenden Metaperspektive erforscht wird (Schäffter, 2019).
Bei diesen Spielarten entstehen im (gemeinsamen) Forschungsprozess auf unterschiedlichen Ebenen Herausforderungen (Barisch-Fritz, 2016), u.a. das Finden einer Verstehens- und Verständigungsebene
trotz disziplinärer Fachsprachen und Perspektiven, das Ausloten einer disziplinübergreifenden Problemstellung und die Klärung des (meta-)perspektivischen Gegenstandsbereichs oder auch das
Eindenken und sinnvolle Verbinden unterschiedlicher Method(olog)iken (Barisch-Fritz, 2016; Bolte & Lerch, 2019).
Diesen Herausforderungen gilt es nicht zuletzt auch kritisch vor dem Hintergrund zu begegnen, dass insbesondere inter- und transdisziplinäre Forschungsprojekte aufgrund aktueller
wissenschaftspolitischer Interessen verstärkt gefördert werden (Kondratjuk et al., 2023). Durch die gesellschaftspolitische Zuweisung der „(vermeintlich neue[n]) Aufgabe …, zur Verbesserung der
gesellschaftlichen Praxis beizutragen“ (ebd., S. VI) und den ‚grand challenges‘ durch innovatives, disziplinübergreifendes Arbeiten zu begegnen (Froese et al., 2019), werden bestimmte Themen und
deren inter-/transdisziplinäre Beforschung wissenschaftspolitisch ge-setzt und nicht zuletzt auch an einer ökonomischen Umsetzung bemessen.
Vor dem skizzierten Hintergrund stellen sich (uns Ausrichtenden) u.a. die folgenden Fragen:
Wir würden uns sehr darüber freuen, Sie und Euch für einen diskursiven Austausch zu diesem Rahmenthema Anfang Oktober in Marburg begrüßen zu dürfen!
Ulrich Theobald & Meike Hartmann