Konstruktionen von Fachlichkeit: Thematischer Rahmen und Fragehorizonte

Der Begriff der Fachlichkeit bezieht sich – allgemein gesprochen – auf spezifische oder charakteristische Sachverhalte, Elemente und Strukturen, die einen bestimmten Wissensbereich betreffen (z.B. Schulfach, Fachgebiet, Wissenschaftsdisziplin). Fragen der Fachlichkeit haben im Zuge der großen Schulleistungsvergleichsstudien (z.B. PISA), einer kompetenzorientierten Wende im Bildungssektor sowie von Diskussionen darüber, welchen Beitrag einzelne Fächer mit ihren spezifischen „Modi der Weltbegegnung“ (Baumert, 2002) zur Bildung von Schüler*innen (und zukünftigen Lehrer*innen) leisten können, wieder stark an Bedeutung gewonnen. Hierbei kann der Begriff der Fachlichkeit auf unterschiedliche Diskussions- und Forschungslinien der Erziehungswissenschaft, der empirischen Schul- und Unterrichtsforschung (vgl. aktuell Martens et al., 2018), der historischen Bildungsforschung, der einzelnen Fachdidaktiken und so auch der Sportpädagogik und -didaktik rekurrieren und darüber hinaus auch an Arbeiten der Bildungssoziologie sowie Körper- und Sportsoziologie anschließen. Das Bedeutungsspektrum des Themas Fachlichkeit umfasst Fragen nach Unterrichtsthemen, ‑inhalten und -gegenständen und nach Prozessen fachbezogenen und fachspezifischen Lehrens und Lernens – d.h. die Fachlichkeit des Unterrichts in Schule und Hochschule. Es umfasst zudem Fragen nach Wissen, Können, Fähigkeiten und Kompetenzen von Lehrenden und Lernenden – d.h. die Fachlichkeit der Personen. In einer weiteren Ausdeutung umfasst das Bedeutungsspektrum außerdem Fragen nach Routinen, impliziten Spielregeln, Normen, Wissensordnungen und korrespondierenden biographischen Mustern sowie Habitusformationen in der Berufskultur von (Sport-)Lehrer*innen, der (Sport-)Unterrichtskultur von Schulklassen, der Ausbildungskultur des (Sport-)Studiums, der Wissenschaftskultur der (Sport-, Schulsport-)Forschung ebenso wie der Freizeitkultur (des Sports) – d.h. die fachliche bzw. fachbezogene Kultur relevanter sozialer Milieus, Felder, Institutionen und Praktiken.

 

Es sind nun die Konstruktionen – das bedeutet, die theoretischen, methodischen und empirischen Modellierungen und Herstellungen – solcher Fachlichkeit(en) in der qualitativen Forschung, die in methodologisch-methodischem Interesse ein vielversprechendes und für die Sportwissenschaft noch wenig erschlossenes Diskussionsfeld darstellen. Für die Tagung eröffnet dieses Diskussionsfeld unterschiedliche Fragehorizonte:

 

Erstens, sind Beiträge angesprochen, die sich mit Fachlichkeit (von Unterricht, Personen oder Fachkulturen) als Forschungsgegenstand beschäftigen. Im Anschluss an die Topologie von Bräuer et al. (2018) lassen sich hier Zugänge anhand von zwei Dimensionen verorten: In der Dimension des Gegenstandsverständnisses stehen Zugänge, die stärker von einer Vorstellung von Fachlichkeit als etwas immer schon Vorauszusetzendes ausgehen, solchen gegenüber, die stärker einer Vorstellung von Fachlichkeit als (zu rekonstruierender) sozialer Konstruktion folgen. In der normativen Dimension werden die Normen für die Bewertung solcher Fachlichkeit mal stärker vom Forschenden gesetzt – etwa wenn Unterrichtsbeispiele als Glücks- oder Unglückfälle fachlichen Lernens rekonstruiert werden –, mal liegt der Fokus stärker auf der Rekonstruktion der Normen und Qualitäten, die in der Praxis selbst emergieren – etwa wenn empirisch nachgezeichnet wird, wie unterrichtliche Differenzierungsprozesse mit bestimmten Weisen der interaktiven Gegenstandkonstitution einhergehen. Vor dem Hintergrund dieser Verortungsmöglichkeiten lassen sich dann unterschiedlichen Fragen aufwerfen:

 

Es lassen sich die sozial- und gegenstandstheoretischen Fundamente von Forschungsarbeiten befragen: Welche impliziten wie expliziten Vorannahmen und Setzungen und damit verbundene Einschränkungen sowie Potenziale gehen mit bestimmten theoretischen Ausrichtungen und Grundlegungen einher? Es lassen sich epistemologische Fragen stellen: Auf welche erkenntnistheoretischen Positionen rekurrieren bestimmte Konstruktionen von Fachlichkeit? Welche Aussagen können mit ihnen jeweils getroffen werden? Es lassen sich die methodischen Verfahren diskutieren: Welche Möglichkeiten und Unmöglichkeiten bieten bestimmte Forschungsansätze sowie konkrete methodische Vorgehensweisen, um Fachlichkeit zum Forschungsgegenstand zu machen? Welche Herausforderungen und Fallstricke gehen mit ihnen in der Forschungspraxis einher? Zudem lässt sich der aktuelle empirische und methodische Forschungstand sowie der (programmatische) Forschungsdiskurs reflektieren: Welche empirischen Erkenntnisse zu (welcher Konstruktionsform von) Fachlichkeit lassen sich ausmachen? Was sind methodische Tendenzen und Trends? In welche Richtung entwickelt sich der Diskurs um Fachlichkeit? Wie sind diese Entwicklungen einzuordnen und weiter zu bearbeiten?

 

Daneben sind, zweitens, Beiträge angesprochen, in denen Fachlichkeit nicht den primären Untersuchungsgegenstand bildet, die ihre Forschung aber entlang von Fragen der Fachlichkeitskonstruktionen reflektieren und diskutieren möchten. Dies kann sich wie im ersten Fall auf grundlagentheoretischer, auf epistemologischer, auf methodischer und/oder auf empirischer Ebene sowie auf Ebene der Fachdiskurse bewegen. Denkbar sind u.a. Fragen nach impliziten Fachlichkeitskonstruktionen auf diesen Ebenen, nach möglichen Gewinnen und Erträgen, die die Forschung für Fragen der Fachlichkeit bereithält oder nach Problemstellungen, Rückfragen und Konsequenzen für das Fachlichkeitsthema.

 

Drittens, sind ausgehend von den hierdurch konturierten Frage- und Diskussionshorizonten auch Beiträge angesprochen, die Grenzen, Muster und Logiken des ‚doing Fachlichkeit‘ in den Wissenschaftskulturen der Sportwissenschaft thematisch werden lassen. Dies betrifft zum einen Perspektiven auf Fachlichkeitskonstruktionen in anderen Fächern, die zum Vergleich und Kontrast einladen. Zum zweiten betrifft dies die Möglichkeit, im engeren Sinne sportpädagogische/-didaktische Behandlungen von Fachlichkeit beispielsweise mit sport- und körpersoziologischen oder mit sportpsychologischen Perspektiven zu konfrontieren. Zum dritten sind auch Perspektiven einer Wissenschaftsforschung oder reflexiven Wissenschaftsselbstbeobachtung denkbar, die Praktiken, Arbeitsweisen und Prinzipien des ‚doing Fachlichkeit‘ im sportwissenschaftlichen Feld einer Diskussion zugänglich machen.

 

Wir möchten dazu einladen, die Fragehorizonte, die sich in diesem thematischen Rahmen eröffnen, vielfältig auszuloten und auszudeuten, um in kollegialer Atmosphäre über methodologische und methodische Aspekte eigener Arbeiten, Projekte und Gedanken gleichsam im Sinne eines working and thinking in progress in den Austausch zu treten.